Im Jahr 1961 publizierten Franco Modigliani und Merton Miller ihre Studie „Dividend Policy, Growth, and the Valuation of Shares“, aus der das Dividenden-Irrelevanztheorem hervorging. [1] Es besagt, dass der Unternehmenswert nicht davon abhängt, ob Dividenden ausgeschüttet oder einbehalten werden. Trotzdem werden Dividendenwerte von vielen Anlegern bevorzugt.
Im Paper „The Dividend Disconnect“ führen die Kapitalmarktforscher Samuel Hartzmark (University of Chicago) und David Solomon (Boston College) eine alte Erklärung dafür an. [2] Sie beschreiben den Effekt der scheinbar kostenlosen Dividende. Viele Anleger nehmen die Ausschüttungen demnach als zusätzliches Einkommen wahr, das ihnen eine gewisse Absicherung gegen Kursschwankungen bieten soll.
Doch das ist ein Trugschluss. Denn sie bedenken nicht, dass die Dividenden direkt auf Kosten des Aktienkurses gehen.
Man könnte nun meinen, dass es sich dabei um einen klassischen Anfängerfehler handelt, über den erfahrene Börsianer nur lachen können. Doch so einfach ist es leider nicht. Die Ursachen liegen tiefer. Und sie betreffen auch professionelle Investoren.
Separate mentale Konten
Die Forscher zeigen, dass Kursveränderungen und Dividenden von Anlegern – sei es bewusst oder unbewusst – auf separaten mentalen Konten verbucht werden, statt sie als Gesamtrendite zu kombinieren, wie es die Kapitalmarkttheorie annimmt. Erstaunlich ist vor allem, dass der Effekt unabhängig davon besteht, ob Anleger den Zusammenhang zwischen Kursen und Dividenden verstehen oder nicht. Offensichtlich möchten also auch Anleger, die sich dessen bewusst sind, Kursveränderungen und Dividenden separat „abrechnen“. Ein Grund dafür könnte sein, dass es sich gut anfühlt. In diesem Fall übernehmen Verhaltenseffekte das Kommando.
Interessant ist auch die Erkenntnis, dass viele Anleger ihre Verkaufsentscheidungen vor allem anhand der Kursentwicklung treffen. Teils werden angefallene Dividenden dabei überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl die Kurse durch die Ausschüttungen regelmäßig fallen. Ein Beispiel: Zwei verschiedene Aktien steigen jeweils von 5 auf 6 Euro. Eine von ihnen erreichte zwischenzeitlich 6,25 Euro und zahlte dann eine Dividende von 0,25 Euro. Trotzdem würden Anleger, die nur auf Kursveränderungen achten, beide als gleichwertig einschätzen. Die Dividende geht in ihrer Wahrnehmung auf das separate Konto und wird dort als kleiner, wiederkehrender Gewinn verbucht, der unabhängig vom Kurs ist. Die Anleger belügen sich also gewissermaßen selbst. Aber warum?
Religiöse Dividendenverehrung
Eine Erklärung ist, dass viele Anleger den Ausschüttungen einen überhöhten Stellenwert beimessen. Sie sehen darin einen attraktiven Einkommensstrom, sinnbildlich die Früchte ihrer Investments, die sie möglichst dauerhaft konsumieren möchten. Das wird durch das Ergebnis der Forscher bestätigt, dass Aktien mit höheren Dividenden seltener verkauft werden. Anleger scheinen also weniger empfindlich gegenüber Kursrückgängen und Volatilität zu sein, wenn wenigstens die Dividende stimmt. Rational ist das aber nicht.
Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass Dividenden selten in die gleichen Aktien reinvestiert werden. Das gilt nicht nur für Privatanleger, sondern auch für Fonds und institutionelle Investoren, wie die Autoren schreiben. Daraus folgt ein Effekt, den viele nicht auf dem Schirm haben: Im Lauf der Zeit nimmt die Gewichtung der Dividendenwerte gegenüber Aktien ohne Ausschüttung systematisch ab, da sie bei den Ausschüttungen immer wieder im Kurs gestutzt werden.

Eine Alternative ist die Do-It-Yourself-Variante: Dabei werden regelmäßig kleine Anteile von Aktien oder Fonds ohne Ausschüttung verkauft, was einer synthetischen Dividende entspricht. Aus theoretischer Sicht ist es fast das gleiche. Die Frage ist nur, ob sich die künstliche Dividende auch so anfühlt, als würde man die Früchte seiner Investments ernten. Deshalb wird das Thema Dividende wohl auch in Zukunft eine Glaubensfrage bleiben.
Fazit
Viele Anleger verhalten sich so, als ob Kurse und Dividenden nichts miteinander zu tun hätten.
Quellen:
[1] Modigliani, F. / Miller, M. H. (1961), Dividend Policy, Growth, and the Valuation of Shares, The Journal of Business Vol. 34 Nr. 4
[2] Hartzmark, S. M. / Solomon, D. H. (2018), The Dividend Disconnect, 7th Miami Behavioral Finance Conference
Hallo Marko,
schöner Artikel. Ja, das stimmt alles schon, keine Frage. Interessant finde ich aber die Feststellung, dass Anleger die Kursveränderungen und Dividendengewinne scheinbar bewusst oder unbewusst auf separaten mentalen Konten verbuchen. Ich würde annehmen, dass das sowohl unbewusst als auch bewusst passiert. Dividenden – oder beim ETF einfach Ausschüttungen – triggern eben das Belohnungssystem.
Das nun viele Leute sich ganz besonders über Ausschüttungen und Dividenden freuen, mag man als irrationales Anlageverhalten abtun. Persönlich mache ich mir das aber gerne zu nutze. Wie? Nun, in der Portfoliogestaltung werden ja auch gerne Anleihen beigemischt, um das Portfolio zu stabilisieren, damit man in Krisen nicht panisch verkauft. Dafür nimmt man dann auch eine geringere Rendite in Kauf. Dividenden und Ausschüttungen haben einen ähnlichen Effekt.
Sie triggern das Belohnungssystem und man erfreut sich über die stetigen Zuströme, auch wenn der Aktienmarkt mal am Boden liegt. Das sind dann eben in der Tat zwei verschiedene Konten. Statt in Panik zu verfallen, wegen der Verluste, freut man sich weiter über Ausschüttungen. Man kauft man lieber zu, weil man dadurch noch höhere Ausschüttungen bekommt. Dadurch macht man in schwachen Börsenphasen genau das Richtige.
Für mich ist es daher unproblematisch und ich setze gerne auf Ausschütter bei meinen ETFs. Dafür spare ich mir die Anleihen mehr oder weniger (bis auf aktienähnliche EM Bonds). Bisher bin ich damit gut gefahren. Es sollte einem aber natürlich klar sein, dass man hier ein bisschen an Rendite liegen lässt, wenn die Steuerfreibeträge bereits ausgeschöpft sind.
Wichtiger finde ich es aber, wenn es dabei hilft, Kurs zu halten, komme, was wolle. Es ist ja durchaus bekannt, dass Dividendensammler sehr erfolgreiche Anleger sind. Da heißt es oft, dass sie das trotz des schlechteren Ansatzes wegen ihrer Ausdauer hinbekommen. Ich würde ja eher sagen: die Ausdauer kommt eben gerade durch den psychologischen Vorteil zustande…
Viele Grüße, Rolf
Danke für deine Hinweise! Der Fokus auf Dividenden zumindest in einem Teil des Portfolios kann durchaus ein psychologischer Vorteil sein. Außerdem ist mir beim Schreiben aufgefallen, dass ich selbst auch etwas vom 2-Konten-Denken betroffen bin 😉