Am Hoch kaufen, am Tief verkaufen?!

Eigentlich sollte es ganz einfach sein, Gewinne an der Börse zu machen: Kaufen, wenn die Kurse unten sind, abwarten, auf hohem Niveau verkaufen – und das Ganze wiederholen. Die Realität ist aber, dass so mancher Anleger eher das Gegenteil macht: teuer kaufen und billig verkaufen. Das klingt absurd, wurde aber in Studien gezeigt. Demnach sind die tatsächlich erzielten Renditen von Fondsanlegern im Mittel zwischen 1,3 und 1,6 Prozent pro Jahr schlechter als bei einer klassischen Buy-and-Hold-Strategie. [1] [2] [3]

Mit anderen Worten: Der DAX mag in den letzten 20 Jahren um 400 Prozent gestiegen sein. Das heißt aber noch lange nicht, dass der durchschnittliche Anleger diesen Zuwachs tatsächlich erzielt hat. Wahrscheinlich war es bedeutend weniger. Der Effekt betrifft dabei sowohl Anleger in aktiven als auch in „passiven“ Fonds. Und er ist stark genug, um die Überrenditen erfolgreicher aktiver Fonds, die ihre Vergleichsindizes schlagen, zunichte zu machen. [2]

 

Ein Teufelskreis

Aber warum kaufen so viele Anleger auf hohem Kursniveau? Die Antwort liefert unsere Psyche: Wer bei steigenden Kursen nicht dabei oder unterinvestiert ist, aber ständig hört, dass (scheinbar) alle anderen profitieren, bekommt das Gefühl, etwas zu verpassen (Fear Of Missing Out, FOMO). Diese Angst kann stärker sein als das Risikoempfinden und unser Urteilsvermögen trüben. Man glaubt, es geht nur noch bergauf. Mit jedem weiteren Kursanstieg nimmt die Ungeduld weiter zu, bis man irgendwann kauft. Nicht selten sind die Kurse dann schon nahe eines zwischenzeitlichen Hochs.

Aber das ist nur die halbe Geschichte. Denn wer endlich investiert hat, wird seine Entscheidung wegen kleiner Verluste nicht so schnell revidieren. Mit der eigentlich guten Begründung, dass es sich um ein Langfristinvestment handelt, halten viele Anleger eine ganze Weile durch, wenn die Kurse zu fallen beginnen. Doch viele überschätzen, welche Verluste sie aushalten können. Wenn anhaltend fallende Kurse und schlechte Nachrichten zusammenkommen, kann der Punkt erreicht sein, an dem der Schmerz zu groß wird und die Situation hoffnungslos erscheint. Plötzlich glaubt man, die Welt geht unter und die Kurse steigen nie wieder auf ihre früheren Hochs. In der Panik scheint es nur einen Ausweg zu geben: Verkaufen, um „zu retten, was noch zu retten ist“.

Das Verrückte dabei: Das Timing ist manchmal erstaunlich gut. Nur eben genau verkehrt herum.

 

Kapitalfluss Fonds prozyklisch Timing
Die Grafik zeigt den S&P 500 (grüne Linie) sowie die 12-Monats-Nettokapitalflüsse in Aktienfonds (blaue Balken). Zum einen (müssen) Kapitalabflüsse aus marktarithmetischer Sicht Mitverursacher von Abwärtsbewegungen sein. Zum anderen reagieren Anleger aber zusätzlich prozyklisch und verkaufen verstärkt auf tiefem Niveau. In Aufwärtsbewegungen ist es umgekehrt. Quellen: BlackRock, Informa Investment Solutions, DB US Equity Strategy, Investment Company Institute

 

Dieses Muster ist charakteristisch für das Verhalten von Anlegern, die sich in einem Teufelskreis befinden: Sie verkaufen aus Angst vor horrenden Verlusten, nachdem (!) die Kurse gefallen sind und verpassen anschließend wichtige Teile der Erholungsbewegung, bevor sie wieder neuen Mut fassen. Irgendwann steigen sie auf vergleichsweise hohem Niveau erneut ein – aus Angst, weitere Kursgewinne zu verpassen. Im schlimmsten Fall wiederholt sich der Teufelskreis.

Das Ganze kann sogar Auswirkungen auf die Marktstruktur haben. Eine Studie argumentiert, dass durch kollektiv ungünstiges Timing bestimmte Renditeanomalien wie der Value-Effekt überhaupt erst entstehen bzw. weiterbestehen. [1] Anders formuliert: Würden plötzlich alle Anleger „richtig herum“ handeln, könnte es sein, dass die Märkte noch effizienter wären.

 

Sei ängstlich, wenn andere gierig sind und gierig, wenn andere Angst haben. (Warren Buffett) [4]

 

Fazit

Langfristig erfolgreiches Investieren ist emotional schwieriger, als es im Nachhinein aussieht.

 

Quellen:

[1] Hsu, J. C. / Myers, B. W. / Whitby, R. (2016), Timing Poorly, A Guide to Generating Poor Returns While Investing in Successful Strategies, Journal of Portfolio Management, Vol. 42, Nr. 2

[2] Friesen, G. C. / Sapp, T. (2009), Mutual Fund Flows and Investor Returns: An Empirical Examination of Fund Investor Timing Ability, Journal of Banking and Finance, Vol. 31

[3] Dichev, I. D. (2004), What are Stock Investors‘ Actual Historical Returns? Evidence from Dollar-Weighted Returns, Emory University

[4] Buffett, W. E. (1987), Letter to the Shareholders, Berkshire Hathaway

4 thoughts on “Am Hoch kaufen, am Tief verkaufen?!”

  1. Hi Marko,

    m.E. kann man Märkte nicht „timen“. Ich bin jedes Mal wieder überrascht, wie meine „Intuition“ und die reale Kursbewegung auseinandergehen. Die starke Abwärtsbewegung in den letzten Woche, wer hat sie kommen sehen? (Außer diejenigen, die im Nachhinein immer eine Erklärung finden). Man benötigt eine Strategie, der man folgt. Diese ersetzt dann das „Timen“ und man wird unabhängig in der Entscheidungsfindung von Intuition und dem Versuch den Markt vorhersehen zu wollen. Dazu bekommt man eine gewisse Unabhängigkeit von den Marktbewegungen.

    Grüße,
    Julian

    1. Naja, das paradoxe ist ja, dass die meisten Anleger durchaus ein bisschen timen können – nur eben genau falsch herum. Aber du hast schon recht: Die Erkenntnis, intuitiv ziemlich daneben zu liegen, hatte ich auch schon oft. Eine Strategie schafft dafür nicht nur Regeln und Orientierung, sondern auch Vertrauen in das, was wir tun (oder zumindest sollte sie das). Und wirkliches Vorhersehen der Zukunft kann nicht gehen, das stimmt auf jeden Fall. Aber bei Langfristanlagen nach (!) einem Crash noch aus Angst zu verkaufen, das kann man durchaus vermeiden.

  2. Wenn man timen will, am bestem genau das Gegenteil von dem machen was die eigenen Emotionen gerade hergeben. Wie du sagst, intuitiv liegen wir von Natur aus daneben. Wenn die Märkte fallen nachzukaufen ist nicht so schwierig, vor allem wenn man langfristig ETFs kauft, die man für immer halten will.
    In steigenden Märkten zu verkaufen ist etwas ganz anderes. Ich hatte schon ein paar gute Stockpicks, die sich nach +200%, wieder nach unten verabschiedet haben. Ich konnte nicht verkaufen. Ich tauge also nicht als Trader. Deshalb kaufe ich, wenn überhaupt, nur noch Aktien, die ich auch für immer halten will, weil ich an ihre Zukunft glaube (Survivorship Bias + Overconfidence Bias…)

    1. Das mit dem Gegenteil der eigenen Emotionen ist prinzipiell eine gute Idee! Klappt allerdings nur, wenn man ausreichend Erfahrung hat, um sich in diesen Momenten auch dessen bewusst zu sein. Dem klassischen Einsteiger wird das sehr schwer fallen. Beim „Timing“ nach oben hin könnte ein Rebalancing helfen bei festen Gewinnschwellen, was letztlich einer kleinen Gewinnmitnahme gleicht.

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