Studie zur Interaktion zwischen Technischer Analyse und Aktienkursen

Schulmeister Study Interaction Aggregate Behavior Technical Trading Systems Stock Price Dynamics

 

Im Jahr 2007 veröffentliche Stephan Schulmeister eine spannende Studie zur Technischen Analyse. Zunächst scheint der Titel etwas kompliziert: „The Interaction Between the Aggregate Behaviour of Technical Trading Systems and Stock Price Dynamics“ [1]. Vereinfacht ausgedrückt wird darin untersucht, wie Technische Analyse und Aktienkurse wechselwirken. Dabei stieß Dr. Schulmeister auf einige spannende Erkenntnisse, die ich hier kurz zusammenfassen möchte. Vorab ein paar einleitende Worte zum Thema, sinngemäß übernommen aus dem Paper.

Technische Analyse ist die am häufigsten verwendete Trading-Methodik an den Märkten. Trotz ihrer Beliebtheit in der Praxis wurde dies bisher nicht umfassend empirisch als mögliche Ursache für Trends bei Aktienkursen untersucht. Etwas überraschend blieb Technische Analyse auch in der Behavioral Finance weitgehend unbeachtet. Zwar treffen verschiedene theoretische Modelle Annahmen zum sogenannten „Noise Trading“, aber verfehlen dabei das eigentliche Wesen der Technischen Analyse. So berücksichtigen die Modelle beispielsweise keine antizyklischen Strategien oder nehmen an, dass Feedback Trader einfach nur der jüngsten Kursentwicklung folgen.

Technisches Trading ist fester Bestandteil des Marktgeschehens. In dieser Funktion kann es einen (ineffizienten) Angebots- oder Nachfrageüberschuss an den Märkten verursachen, wenn verschiedene Strategien entsprechende Cluster an gleichgerichteten Signalen verursachen. Initiale Kursbewegungen, die zum Beispiel durch Nachrichten ausgelöst werden, können durch Sequenzen von Trades trendfolgender Strategien verstärkt werden. Das bedeutet, dass viele Signale die gleiche Handelsrichtung anzeigen.

An dieser Stelle sollte man als Trader hellhörig werden. Denn das aggregierte Verhalten all dieser Strategien kann zu einem (destabilisierenden) Überhang an Kauf- oder Verkaufsaufträgen führen. Dabei entsteht ein starker Feedback-Prozess zwischen den Bewegungen der Aktienkurse und den Signalen beziehungsweise nachfolgenden Transaktionen der Strategien. Wenn die Kurse steigen, produzieren zunehmend mehr technische Modelle Kaufsignale (und umgekehrt Verkaufssignale in einem Abwärtstrend).

Dr. Schulmeister untersuchte insgesamt 2580 Trading-Strategien. Jedes dieser Modelle, das eine Long-Position anzeigte, wurde mit +1 bewertet, jede Short-Position mit -1 und jede neutrale Einschätzung mit 0. Dann berechnete er alle 30 Minuten einen Netto-Positionsindex aus der Summe dieser Zahlen für alle Strategien. Auf diese Weise konnte er das aggregierte Verhalten der Strategien im Zeitablauf verfolgen und mit dem Kursgeschehen abgleichen. Er schaute zudem darauf, wie sich die Signale der verschiedenen Modelle gegenseitig ausgleichen, indem er für jedes 30-Minuten-Intervall auch die Anzahl der neuen Long- und Short-Signale untersuchte.

Am Ende konnte er 3 klare Erkenntnisse ableiten:

● Oft liegt die Mehrheit der Signale auf der gleichen Seite des Marktes, also Long oder Short. Der aggregierte Indikator ist fast nie längere Zeit im Bereich der Null-Linie, was bei einem Random Walk zu erwarten wäre

● Der Prozess, bestehende Positionen als Reaktion auf einen neuen Kurstrend zu verändern, beginnt in der Regel ein bis drei Perioden (hier 30 Minuten) nach einem lokalen Hoch oder Tief. Setzt sich der neue Trend fort, dauert es 10 bis 20 Perioden, bis sich die Positionen fast aller Strategien von Long auf Short gedreht haben oder umgekehrt

● Sobald 90% der technischen Strategien ein entsprechendes Signal gegeben haben, tendieren die Kurse dazu, sich in Richtung dieser Positionen zu bewegen; wenn die Bewegung aber an Dynamik verliert, tragen umgekehrt antizyklische technische Strategien zur Umkehr des Trends bei

 

Und das ist noch nicht alles. Spannend ist auch die Schlussfolgerung, dass sich die einzelnen Modelle kaum gegenseitig ausbalancieren. Schulmeister schreibt, dass im Durchschnitt nur 2,3% aller untersuchten Strategien miteinander handeln, also zur gleichen Zeit gegenläufige Signale geben. Das bedeutet, dass technische Strategien dazu neigen, Signale in Clustern zu geben.

Die folgende Grafik aus der Studie zeigt schematisch den Ablauf der Trendentstehung:

 

Studie Interaktion Kurs Trend Technische Analyse aggregiert Schulmeister
Quelle: [1], S. 14

● In der 1. Phase eines Aufwärtstrends (Punkte A und B) dominiert der Nachfrageüberschuss nicht-technischer Händler, beispielsweise ausgelöst durch Nachrichten. Diese lassen News-Trader steigende Kurse erwarten, sodass sie Long-Positionen in den entsprechenden Index Futures eröffnen

● In der 2. Phase (zwischen Punkt B und C) erzeugen technische Strategien eine Serie an Kaufsignalen – zuerst die schnellen Modelle, dann die langsameren. Die Ausführung der Kaufsignale trägt zur Trendfortsetzung bei. Allerdings kann es sein, dass dieser Feedback-Prozess allein nicht stark genug ist, um den Trend tatsächlich zu erhalten, da stets auch andere Trader mit potenziell gegenläufigen Motiven am Markt aktiv sind

● Wenn der Trend hält, sind in Phase 3 (Punkt C) fast alle technischen Modelle Long. Oft wird der Trend nun noch einige Zeit anhalten. Je länger das der Fall ist, desto mehr technische Strategien profitieren von der Bewegung. Da diese Modelle bereits investiert sind, lässt sich eine weitere Trendfortsetzung auf andere, nicht-technische Trader zurückführen. Dazu könnten insbesondere unerfahrene, emotional handelnde Teilnehmer zählen, die bei der Bewegung noch dabei sein möchten und verspätet aufspringen

 

Der Autor grenzt also technische Händler von reinen Noise Tradern ab. Bisher wurden diese Marktteilnehmer generell als eine Gruppe betrachtet (nämlich die „Verlierer“). Schulmeister dagegen schlussfolgert, dass die Späteinsteiger und Noise Trader der entscheidende Grund für die Trendverlängerung und damit die Profitabilität technischer Strategien sind. Entsprechend sollten die Späteinsteiger auch eine Verlierer-Gruppe im Trading sein. Allerdings lässt sich diese Gruppe schwer identifizieren. Wohl auch deswegen, weil die Akteure aufgrund der anfallenden Verluste ständig wechseln.

Je länger der Trend anhält, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er endet. Die klassische Technische Analyse sieht das mitunter umgekehrt. Der Autor nennt 4 Gründe für seine Sichtweise:

● die Anzahl der Trader, die noch aufspringen möchten, wird kleiner

● der Anreiz der Trendfolger, Gewinne mitzunehmen, steigt

● antizyklische Trader halten den Markt für zunehmend überdehnt und könnten Gegentrend-Positionen eröffnen, um von einer Umkehr zu profitieren

● schnelle technische Strategien setzen frühzeitig auf die Gegenrichtung, wenn der laufende Trend an Dynamik verliert

 

Das Ende eines Trends wird oft durch Nachrichten ausgelöst. Meist kommt es dann zu einer anhaltenden Gegenbewegung (zwischen Punkt F und G), auf die technische Modelle mit entsprechender Verzögerung nach und nach aufspringen. Damit kann der Prozess von neuem beginnen – nur in die andere Richtung.

Eines ist essenziell, damit technische Strategien profitabel sein können: Die Trends müssen für eine gewisse Zeit anhalten, nachdem das Einstiegssignal erfolgte. Nur so können die daraus erzielten Gewinne die anfallenden Verluste aus Fehlsignalen überkompensieren. Schnelle Modelle machen dann Verluste, wenn sie zu früh gegen einen laufenden Trend setzen oder die Gegenbewegung zu klein ausfällt. Langsame Modelle steigen erst relativ spät in einen laufenden Trend ein und können nur profitieren, wenn er noch lange genug anhält.

Die Studie gibt einen deutlichen Seitenhieb auf die Effizienzmarkttheorie (EMH). Der Autor weist darauf hin, dass Technische Analyse und deren (erfolgreicher) Einsatz in der Praxis in scharfem Kontrast zur EMH stehen. Insbesondere ist fraglich, ob technische Handelsstrategien tatsächlich „irrational“ sind, wie dies in der Vergangenheit oft behauptet wurde. Denn wenn man annimmt, dass alle Marktteilnehmer risikoneutral sind und perfektes Wissen sowie unbegrenzte Ressourcen besitzen – was den theoretischen Annahmen entspricht -, würden technische Trader schnell von rationalen Akteuren verdrängt (was aber offensichtlich nicht der Fall ist).

Der Autor vertritt eine alternative Philosophie über die Märkte. Er nimmt an, dass menschliches Wissen generell nicht perfekt sein kann. Das heißt, dass die Wahrnehmung der Welt heterogen ist und niemand das „wahre Modell“ kennt. Trading-Entscheidungen werden dann nicht nur rational getroffen, sondern auch im Rahmen von Emotionen, die sich durch soziale Interaktion zum Sentiment formen. Dadurch tendieren Kurse dazu, in Trendsequenzen zu fluktuieren. In einer solchen Welt sind die in der Wissenschaft als nutzlos angesehenen technische Strategien plötzlich vernünftige Ansätze, um mit unserem stets imperfekten Wissen umzugehen.

Quelle:

[1] Schulmeister, S. (2007), The Interaction Between the Aggregate Behaviour of Technical Trading Systems and Stock Price Dynamics, WIFO Working Papers, No. 290

3 thoughts on “Studie zur Interaktion zwischen Technischer Analyse und Aktienkursen”

    1. Danke Andre! Ja fand ich auch spannend – ich denke, wenn man das Konzept richtig durchdenkt und bei kurzfristigen Übertreibungen anwendet, kann man praktisch die zu erwartenden technischen Signale „frontrunnen“ und so mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Break Even abgesicherte Trades generieren (mit offener Upside). Habe noch weitere Paper von Stephan Schulmeister gelesen. Anfang Janar treffe ich mit mit ihm für ein Interview in Wien, bin gespannt.

      1. Auf das Interview bin ich schon sehr gespannt! Kannte Ihn noch gar nicht aber seine Arbeit scheint echt gut zu sein. Suche gleich einmal nach ein paar Papern von ihm.

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