Warum systematische Strategien überlegen sind

Dr. Wesley Gray, Gründer des US-Vermögensverwalters Alpha Architect, ist ein Verfechter der systematischen Entscheidungsfindung. Das wird unter anderem in seinem Paper „Are You Trying Too Hard?“ deutlich. [1] Er argumentiert, dass einfache, quantitative Modelle mit einer begrenzten Anzahl an Parametern bessere Ergebnisse erzielen als diskretionäre Entscheidungen von Experten. Trotzdem sind die Einschätzungen von Experten nach wie vor gefragt. Das liegt Grey zufolge an drei falschen Annahmen, die wir (unbewusst) treffen:

● Qualitative Informationen erhöhen die Genauigkeit der Prognose.

● Mehr Informationen erhöhen die Genauigkeit der Prognose.

● Erfahrung und Intuition erhöhen die Genauigkeit der Prognose.

 

Empirisch sind diese Annahmen nicht haltbar. Wir werden fehlgeleitet vom Gefühl, dass unsere eigenen Anstrengungen (oder die der Experten) es wert sein sollten, zu guten Entscheidungen zu führen. Doch in Wahrheit werden die Informationsvorteile von diskretionären Entscheidungen, die zunächst existieren können, auf Dauer von den Kosten überkompensiert, die an der Börse durch verzerrte Wahrnehmung und verhaltensbasierte Fehler verursacht werden. Deshalb kann es eine erstaunlich gute Lösung sein, Algorithmen und ganze, in sich geschlossene Handelssysteme zu entwickeln, statt immer neue Erklärungen für wiederkehrende menschliche Fehler zu suchen.

 

Die perfekte Täuschung

Dass menschliche Fehler auf Basis von Wahrnehmungseffekten geradezu automatisch passieren können, zeigt folgende Grafik, die auch als „Checkershadow Illusion“ bekannt ist. [2]

 

Checkershadow Illusion Wahrnehmung Täuschung Bias
Welche Fläche ist dunkler, A oder B? Quelle: Adelson, Edward H. (1995), Checkershadow Illusion, Massachusetts Institute of Technology

 

 

Das menschliche Gehirn schätzt Fläche A automatisch dunkler ein als Fläche B. Keiner, der diese Grafik nicht bereits kennt, würde etwas anderes behaupten. Doch wir täuschen uns. Denn wenn ein Computer ganz mechanisch untersucht, welche RGB-Farbwerte die beiden Flächen aufweisen, ist das Ergebnis identisch. Die nüchterne Schlussfolgerung: Kein Unterschied. Beide Flächen sind gleich hell bzw. dunkel. Damit hat der Computer (natürlich) vollkommen recht.

Doch unser Gehirn geht zur Einschätzung der Grautöne anders vor. Es versucht, die reale Welt richtig zu interpretieren, um darin zu überleben. Dabei sind Erfahrungswerte wie der Einfluss des Schattens und die hineininterpretierte Anpassung der wahrgenommenen Helligkeit entscheidend. Dieser Prozess läuft völlig unbewusst ab, sodass wir kaum glauben können, dass unsere Augen uns täuschen – aber sie tun es nachweislich. Falls Sie das nicht glauben, drucken Sie die Grafik aus, schneiden Sie die Felder in Stücke und legen Sie es nebeneinander. Oder verschieben Sie die Flächen einfach am Computer. Sie werden sehen, dass die Grautöne identisch sind.

Die Schlussfolgerung von Wesley Gray ist eindeutig: Menschen sind nicht dazu in der Lage, zuverlässig zwischen Informationen zu unterscheiden, die eine Prognose genauer machen und solchen, die völlig überflüssig (oder sogar kontraproduktiv) sind, aber fälschlicherweise aufgrund subjektiver Einschätzungen eine scheinbare Verbesserung ermöglichen. Ohne direkten Nachweis, dass diskretionäre Entscheidungen von Experten tatsächlich besser sind, bleibt an der Börse oft nur die „Guru-Story“ um eine bestimmte Person, die in der Vergangenheit (zufällig) erfolgreich war. Doch das ist keine zuverlässige Basis für dauerhaft überdurchschnittliche Ergebnisse. Deutlich besser fährt man dagegen mit Algorithmen.

 

Algorithmische Entscheidungen

Nobelpreisträger Daniel Kahnemann schreibt in der Zusammenfassung zu seinem Buch „Thinking, Fast and Slow“, dass es mechanische Algorithmen braucht, um menschliche Fehleinschätzungen aufzuwiegen. [3] Seiner Ansicht nach haben sie folgende Vorteile:

● Vermeidung der Tendenz, sofort verfügbare Informationen zu verwenden. Stattdessen sind die für den Algorithmus relevanten Inputs zu beschaffen.

● Vermeidung der Tendenz, sich auf subjektive Wahrscheinlichkeiten zu verlassen. Der Algorithmus arbeitet mit vordefinierten Formeln.

● Vermeidung der Konstruktion einer scheinbar schlüssigen mentalen „Story“. Durch den Algorithmus wird ein objektives Ergebnis etwa in Form einer Zahl erzeugt.

 

Auf Basis seiner Überlegungen kommt Kahneman zu einer klaren Aussage, was den Stellenwert von Experteneinschätzungen an den Finanzmärkten angeht:

Die Ergebnisse von Börsenexperten sind enttäuschend schwach und selten effizienter als zufällige Ratschläge, die ein Affe beim Werfen von Dartpfeilen auf ein Brett hätte geben können. [3]

 

Und Wesley Gray schreibt, man solle das Stock Picking besser anderen überlassen, die das als ihre Lebensaufgabe betrachten. Der überwiegenden Mehrheit der Anleger, die verhaltensbasierten Fehleinschätzungen unterliegen, empfiehlt er, in den Spiegel zu schauen und sich eine einfache Frage zu stellen:

Am I Trying Too Hard? [1]

 

Fazit

Experten treffen keine besseren Prognosen. Entscheidungen in komplexen Systemen wie den Finanzmärkten sollten systematisch erfolgen.

 

Quellen:

[1] Gray, W. R. (2014), Are You Trying Too Hard? The Case For Systematic Decision-Making, Alpha Architect

[2] Adelson, E. H. (1995), Checkershadow Illusion, Massachusetts Institute of Technology

[3] Kahneman, D. (2014), Thinking, Fast and Slow, Chalmers University of Technology and University of Gothenburg

16 thoughts on “Warum systematische Strategien überlegen sind”

  1. Hallo Marko,
    der Inhalt des Artikels passt genau zu meiner eigenen Erfahrung. Bei meinem früheren diskretionären Trading hatte ich stark schwankende und insgesamt sehr bescheidene Ergebnisse (auch bei sorgfältiger Planung). Nachdem ich seit fünf Jahren ein quantitatives System nutze, hat sich meine Performance drastisch verbessert.
    Eine der Voraussetzungen für das Erlangen von Intuition, nämlich das Erkennen und Erlernen von Mustern, ist beim Trading nach meiner Erfahrung sehr schwierig.
    Mit der Kombination von quantitativem mit diskretionärem Trading habe ich ganz schlechte Ergebnisse erzielt. Immer wenn ich meinte es besser zu wissen, als mein System, hat mich dies viel Geld bzw. entgangene Performance gekostet. Siehe hierzu auch den Artikel von James Montier auf der gleichen Website, http://blog.alphaarchitect.com/wp-content/uploads/2013/01/Painting-by-the-Numbers.pdf : „… At first this model worked just fine, generating signals in line with my own
    bearish disposition. However, after a few months, the model started to output bullish
    signals. I chose to override the model, assuming that I knew much better than it did
    (despite the fact that I had both designed it and back-tested it to prove it worked). Of
    course, much to my chagrin and the amusement of many readers, I spent about 18
    months being thrashed in performance terms by my own model.“

    Gruß, Klaus

    1. Danke Klaus! Das schwierige ist es, das wirklich zu akzeptieren. Man denkt immer, dieses eine Mal ist es anders, das löst die Fehler aus. Es gibt also vielleicht Intuition, aber leider genau falsch rum 🙂

  2. Toller Artikel Marko und wie immer super spannend! Ich glaube mit diesen Fragen haben wir uns alle schon beschäftigt und jeder muss auch seine eigene Antwort finden. Ich stimme insoweit mit Dr. Wesley Gray überein, dass viele sehr komplexe Entscheidungen unter Unsicherheit besser von Systemen gelöst werden können, weil der Mensch die Komplexität der einzelnen Variablen unterschätzt und dann schnell den klassischen „Fehlern“ der Verhaltenstheorie unterliegt.

    Für meine Welt heißt das, dass ich meine Analysen weitestgehend automatisch mache mit für mich schon erschreckend einfachen Ideen und Überlegungen und einem großen Maß an Bescheidenheit. Bei der Umsetzung dieser Analysen vertraue ich aber auf meine Intuition und kann belegen, dass diese das Gesamtergebnis verbessert hat. Am Anfang war das nicht der Fall aber in den letzten Jahren funktioniert es immer besser. Dabei sagt der Trader (Intuition) ob ich die vorher erstellte Analyse umsetzten will oder nicht. Ich glaube der große Vorteil daran ist, dass die Intuition nur einen Parameter bewerten muss und immer wieder die gleichen Bewertungen vollzieht. An rein intuitives Trading glaube ich nach 21 Jahren am Markt auch nicht mehr. Ich denke aber das die besten Trader der Welt immer auch ein Stück weit auf Ihre Intuition vertrauen.

    1. Danke André. Ich würde sagen, dass du mit 20+ Jahren Erfahrung nicht gerade der „durchschnittliche Trader“ bist, sondern weit darüber hinaus! Wäre spannend, mal eine Studie zu finden, die nur langjährige Profis untersucht. Beim Interview mit Linda Raschke kam es mir auch so vor, dass sie vor allem auf Erfahrung und Intuition baut. Ich denke zwar nach wie vor, dass Intuition ebenfalls auf Regeln basiert, aber auf so subtilen, dass nicht einmal der Trader selbst noch sagen kann, auf welchen genau. Das ist ja gerade ein Merkmal von Intuition: Dass man es einfach „weiß“, ohne zu wissen, warum – aber eben nur bei erfahrenen Profis, alle anderen lassen sich eher täuschen. Intuition ist wie du schon sagst eine Abkürzung zum komplexeren objektiven Entscheidungsprozess. Eine erstaunliche Fähigkeit des Gehirns, unbewusste Kompetenz zu entwickeln! Einziger Haklen bei der Sache: Man muss eben erstmal so lange Erfahrungen sammeln. Denn beim Einsteiger ist Intuition eher unbewusste Inkompetenz 🙂

  3. Sehr geehrter Herr Gränitz,

    Habe die Grafik ausgedruckt und so verfahren wie beschrieben. Ich sehe nach wie vor unterschiedliche Grautöne, lediglich tauchen Streifen auf, die vorher nicht zu sehen waren.

    Mit freundlichen Grüßen, Lothar Schwarz

      1. Noch was : hab mir mal RGB-Grauwerte angeschaut. Grey 100 hat 252;252;252, aber Grey 60 hat 150;150;150. Hat Dr. Gray vielleicht ein Problem mit Grauabstufungen?

  4. Experte vs. Systematik

    Sehr geehrter Herr Gränitz,

    Zum Beginn ein einfaches Beispiel : Autofahren. Wenn unsere Wahrnehmung der Realität so miserabel sein soll wie behauptet, dann sollten wir doch ständig Unfälle bauen. Ferner : es tauchen immer wieder unerwartete Situationen auf, die unter Zeitdruck Entscheidungen erfordern. Das sind doch diskretionäre Fälle? Es ereignen sich natürlich immer wieder Unfälle, aber die Mehrheit der Fahrer reagiert angemessen. Da der Mensch lernfähig ist, vermute ich, dass Erfahrung einen positiven Einfluss hat. Nicht zu Unrecht spricht man von Anfängerfehlern oder Leichtsinn. Mehr möchte ich zu der ganzen Thematik erst mal nicht sagen.

    Mit freundlichen Grüßen, Lothar Schwarz

    1. Ich weiß, dass Autofahren und Börse gern miteinander verglichen werden, aber das ist eine viel zu starke Vereinfachung. Die Märkte sind weitaus komplexer und insbesondere viele Zusammenhänge nichtlinear.

      1. Bei meinem Beispiel „Autofahren“ ging es mir weniger um den Aktienmark, sondern um zuverlässiges Erkennen der Realität, vor allem im Fall unerwarteter Ereignisse, die von niemand vorhergesagt werden können. Um ein Wortspiel zu bringen : man fährt Auto in der ständigen Erwartung, dass unerwartete Ereignisse eintreten können und manchmal auch eintreten.

  5. Experte vs. Systematik

    Sehr geehrter Herr Gränitz, bereits der Titel bereitet mir Kopfschmerzen. Arbeitet ein Experte ohne Systematik? Das ist doch offensichtlich Unsinn.

    Mit freundlichen Grüßen, Lothar Schwarz

    1. Den Titel habe ich aus dem Paper übernommen. Dass Experten ex ante im Durchschnitt keine besseren Prognosen treffen, lässt sich an den Märkten immer wieder beobachten.

  6. Sehr geehrter Herr Schwarz,

    die Entwicklung von Experten-Intuition ist von gewissen Bedingungen abhängig, die beim Autofahren gegeben sind, im Börsenhandel aber nur in sehr eingeschränktem Umfang. Ich empfehle in diesem Zusammenhang das ausgezeichnete Buch des Nobelpreisträgers Kahnemann: Schnelles Denken, Langsames Denken. Oder in Kurzform zu diesem Thema folgendes Video zum Thema:

    https://www.youtube.com/watch?v=ksopQLMQsq8

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